13. Januar 2016

Nur gegen Bezahlung

Nur gegen Bezahlung

 

Auf dem Spielplatz

 

„Nur gegen Bezahlung“, antwortete sie auf seine Frage, ob er ein paar Fotos von ihr machen dürfe, blieb aber dennoch mit dem quengelnden Kind im Sportwagen direkt neben ihm stehen. Nein, bezahlen würde er nicht, war seine Antwort und damit schien die Sache erledigt zu sein, aber in diesem Moment beugte sich die junge Frau tief hinab zu dem kleinen Kind und er blickte voll in ihren Ausschnitt, auf ein paar höchst wohlgeformte Brüste.

Er war lange durch die Stadt gelaufen, die Augen offen, den Fotoapparat schussbereit, auf der rastlosen Suche nach interessanten Motiven und Eindrücken. Doch leider war die Ausbeute an diesem Tag gering. Die Speicherkarte war noch weitgehend leer, der Akku der Kamera dagegen noch fast voll, mit anderen Worten, er hatte kaum Motive gefunden, die sich gelohnt hätten, aufgenommen zu werden. Müde und frustriert hatte er eine Bank gesucht, um sich ein paar Minuten auszuruhen, um nachzudenken und zu überlegen, was er nun tun sollte und ob es sich lohnte, in dieser langweiligen Gegend weiter herumzulaufen. Die einzige Bank weit und breit fand er auf einem kleinen Spielplatz. Erstaunlicherweise war dieser fast leer und das an einem schönen, sonnigen Spätnachmittag, keine lärmenden Kinder, keine genervten Mütter, nur ein einziges Kleinkind werkelte in dem Sandkasten. Der Heftigkeit seiner Bewegungen nach zu urteilen, war es vermutlich ein kleiner Junge, jedenfalls ein Kind, das noch einen Kinderwagen brauchte. Dieser, ein altes, völlig aus der Mode gekommenes Modell, stand neben dem Sandkasten und auf einer weiteren Bank, auf der von ihm aus direkt gegenüberliegenden Seite, saß eine junge Frau. Sie rauchte, blätterte in einer Illustrierten und rief dem Kind ab und zu ein paar laute Worte zu, er solle dies oder jenes lassen. Vermutlich handelte es sich um die Mutter, dem Aussehen und vor allem dem Alter nach, hätte es aber auch die große Schwester des Kleinen sein können, stellte er anerkennend fest.

Aus den paar Minuten war bereits eine halbe Stunde geworden und er verspürte Hunger. Er öffnete seinen Rucksack, ein hässliches, pinkfarbenes Ding mit der großen Aufschrift „titanic-bag“, den er auf seinen Fototouren immer dabei hatte, sein Markenzeichen sozusagen und kramte nach einem Müsliriegel. Sorgfältig entfernte er die Hülle und biss Stückchen für Stückchen von der süßen Masse ab. Dann warf er das Papier in den verschmutzten, grauen Papierkorb direkt neben seiner Bank, auf dem ein gelber Aufkleber prangte: „Gleiches Recht für alle – gegen die Diskriminierung von Frauen“. Angeekelt wendete er den Blick von dem hässlichen Papierkorb wieder weg, er war ein ordentlicher Mensch, fast schon ein Pendant, und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die junge Frau, denn es war keineswegs das spielende Kind, das ihn die Zeit hatte vergessen lassen. Kleinkinder interessierten ihn nicht besonders. Nein, es war diese junge Frau auf der Parkbank, die sein Interesse und seine Blicke magisch anzog. Sie war schlank und grazil, trug enge, blaue Jeans mit aufgestickten bunten Applikationen und eine hübsche, rote Bluse. Doch das allein hätte nicht gereicht, ihn so lange auf einer Spielplatzbank zu fesseln. Anziehend und auffällig waren ihre dunklen Haare, die in üppigen Locken bis auf die Schultern fielen und ihr Gesicht, vor allem ihr Gesicht, das er wegen der relativ geringen Entfernung deutlich und in Ruhe betrachten konnte. Obwohl, nein, weil dieses Gesicht nicht ausgesprochen hübsch war, faszinierte es ihn. Ein ausdrucksstarkes Gesicht von herber Schönheit, mit großen, dunklen Augen, Gazellenaugen, das sich nicht gleich beim ersten Anblick erschloss und das auch ein wenig vulgäre aussah, vermutlich wegen einer kleinen Narbe auf der Oberlippe. Es erinnerte ihn an einen Filmstar aus seiner Jugend, dessen Name ihm jedoch nicht einfiel, eine Französin oder Italienerin, die er gemocht hatte, weil sie als ziemlich verrucht galt und deswegen interessant war. Jedenfalls war es keines dieser öden Beautygesichter, die auf der Titelseite von Illustrierten prangten, keine zu Tode geschminkte Maske einer Verkäuferin in einer der angesagten Drogeriemarktketten. Er fand, dass die junge Frau auf jeden Fall äußerst fotogen sei und je länger er sie betrachtete, desto mehr wünschte er ihr, aber mehr noch sich selbst, dies beweisen zu können. Eine kleine Fotoserie mit dieser aparten Schönheit wäre ein kleiner Hoffnungsschimmer an diesem öden Nachmittag, ein Ereignis, das diesem langweiligen Tag doch noch ein wenig Erfolg bescheren könnte.

Doch als er sich endlich aufraffte und das Teleobjektiv aus dem Rucksack kramte, um wenigstens ein paar Schnappschüsse aus der Ferne zu machen, rollte die junge Frau ihre Illustrierte zusammen, stand auf, trat an den Rand des Sandkastens und rief dem Kind zu: „Komm, Schatz, wir müssen jetzt gehen“. Aber das Kind wollte nicht, es wollte sein Kuchenbacken, sein Schaufeln und Sieben nicht abbrechen. Trotzig blieb es im Sand sitzen, und als die Mutter ihre Aufforderung mehrfach bekräftigte und dabei immer lauter wurde, fing es an zu plärren. Schließlich stapfte sie unwirsch durch den Sand, hob das schreiende, strampelnde, um sich schlagende Wesen hoch, trug es zum Kinderwagen und setzte es mit Schwung in den Sitz, so wie man einen schweren Sack abwirft. Sie war sichtlich genervt und schimpfte. „Wir gehen jetzt, basta. Hör sofort auf zu schreien, sonst kommst du gleich ins Bett. Kapiert?“ Die Drohung wirkte, das Geheul ging in ein unregelmäßiges Schluchzen und Schniefen über. Die Frau beruhigte sich wieder, aber ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war ihre Stimmung auf den Nullpunkt abgesackt und die Gelegenheit für ein paar nette, harmlose Fotos war sicher dahin. Doch als sie mit dem Kinderwagen den Sandplatz umrundete und direkt auf seine Bank und damit auf ihn zukam, stand er zu seinem eigenen Erstaunen auf, lächelte sie an, hob die Kamera etwas in die Höhe und fragte sie, ob er ein paar Bilder von ihr machen dürfe. Die Frau blickte ihn überrascht, ja geradezu perplex an. Ihre Augen verfinsterten sich noch mehr und zusätzlich bildete sich eine steile Falte auf ihrer Stirn direkt über ihrer Nase. Man konnte ihre Gedanken förmlich an diesem Gesichtsausdruck ablesen: „Dieser Spinner will doch nicht hier und gerade jetzt ein Bild von mir machen, wo ich grad Stress mit dem Balg habe? „Ihre Antwort war kurz und brüsk: „Nur gegen Bezahlung“. Trotz der eindeutigen Ablehnung, diesem offensichtlichen Abwimmeln, blieb sie mit dem Kinderwagen direkt vor ihm stehen. Er zuckte mit den Schultern, ließ den Fotoapparat wieder sinken, murmelte, „dann eben nicht“, und „für’s Fotografieren zahl ich nichts, ich nehme höchstens was dafür“ und bückte sich, um seinen Rucksack von der Bank aufzuheben, die Kamera wieder zu verstauen und seine Stadtwanderung fortzusetzen. Im selben Moment bückte sich auch die junge Frau, weil sie bemerkte, wie das Kind begann, die mit Sand verkrustete Plastikschaufel mit Behagen abzulecken. Sie schimpfte wieder, riss die Schaufel empört aus den Händen des verdutzten Kindes und löste dadurch einen neuen Schreianfall aus. Und auch bei ihm hatte ihr tiefes Hinabbücken etwas ausgelöst. Er war wie elektrisiert, denn er konnte gar nicht anders, als direkt und aus kürzester Distanz in ihre aufgeknöpften Bluse zu starren, auf diese schicke bordeauxrote Bluse und besonders auf ihre wohlgeformten Brüste, auf zwei feste, sinnliche Freuden versprechende Liebeskugeln, die in einem lila Hauch von BH ruhten, einem filigranen Netzwerk, soweit er sehen konnte. Und er folgte zum zweiten Mal einer spontanen Eingebung und fragte: „Wie viel wollen Sie denn?“

Die junge Frau hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass der Fotograf tatsächlich auf ihre Forderung eingehen würde, denn sie schaute ihn schon zum zweiten Mal sehr überrascht an, war aber trotzdem bereit, zu tun, was dieser Spinner wollte. Sie posierte, anfangs ziemlich lustlos, auf einer Bank sitzend, dann, schon mit mehr Interesse, dekorativ versteckt hinter den Blättern und Zweigen der Büsche, die den Spielplatz umgaben. Er machte ein paar romantische Bilder mit verschwommenem Vordergrund und wollte dann, dass sie sich an den Stamm eines der großen Bäume lehnte. Das war die letzte Anweisung, die er ihr geben musste, denn mit jeder neuen Einstellung wuchs ihre Begeisterung. Sie machte eigene Vorschläge und setzte sie spontan um. Schon die Art, sich an den Baumstamm zu lehnen, ihn zu umarmen, sich wie die Schlange im Paradies zu räkeln, nein besser gesagt, wie Eva, die nur das eine Ziel hat, Adam zu verführen, zeigte ihren Einfallsreichtum und ihre Freude in der neuen Rolle als Fotomodell. Nach dem Baum balancierte sie waghalsig auf dem maroden Balken einer Wippe, kletterte auf den verdreckten Tischtennistisch, tanzte dort einen rasanten Hip-Hop, um sich schließlich sogar auf die blanke Aluminiumrinne der Kinderrutsche zu legen, hinabzugleiten und in den Sand zu kullern. Die Kleine, es war doch ein Mädchen, sah dem Treiben ihrer Mutter höchst interessiert zu, klatschte Beifall und rief, „auch Sand spielen“. Als sie das Kind daraufhin aus dem Wagen hob und zurück in den Sandkasten trug, lachte es vor Freude laut auf und begann sofort Sand auf die Mutter zu werfen. Die hob ihre Hände abwehrend hoch, drohte zum Spaß mit dem Zeigefinger und schubst das Kind so lange, bis es auf dem Rücken lag und mit den Beinen strampelte. Dann legte sie sich zu ihm in den Sand, kitzelte es unter den Armen und in den Kniekehlen und ließ eine Handvoll Sand nach der anderen auf seinen Bauch rieseln. Die beiden tobten, lachten aus vollem Hals, alberten herum, gieksten und prusteten vor Vergnügen. Er kam derweil kaum nach, all die hübschen Motive auf seine Speicherkarte zu bannen.

Die Aufnahmen von der jungen Frau allein und auch mit ihrem ausgelassenen Kind hatten ihm zunehmend Spaß gemacht, obwohl ein Spielplatz keine aufregende Kulisse und eine Mutter mit Kleinkind auch kein übermäßig anregendes Motiv ist. Er war aus einem anderen Grund begeistert, weil er nämlich schon nach kurzer Zeit gemerkt hatte, dass die junge Frau ein großes Talent zum Posieren besaß und zudem ausdrucksstark und variantenreich in die Kamera blickte. Fast schon wie ein professionelles Modell, dachte er. Doch irgendwann war das Thema ausgereizt, alle Stellungen waren schon einmal eingenommen und festgehalten worden und es schien, dass selbst die kreative Phase seines Modells sich dem Ende näherte. Das war aber nicht weiter schlimm, denn er hatte ja die Bilder, die er wollte, nein, er hatte viel mehr und viel bessere, als er sich vorgestellt hatte und war ganz zufrieden, soweit man als Fotograf mit seinem Werk zufrieden sein kann, weil man immer eine neue, eine besser Idee hat, kaum dass die Aufnahmen gemacht sind. Schließlich einigten sie sich, Schluss zu machen, nur die Kleine im Sandkasten wollte immer noch nicht aufhören und rief, „mehr spielen, Mama“, aber die Mama erklärte resolut, jetzt sei Schluss, stellte sie auf die Beine, klopfte auf ihrer Kleidung herum, um sie zu entsanden und setzt sie in den Sportwagen, was sie erstaunlicherweise ohne murren duldete. Er verstaute derweil die Kamera und die Objektive in dem rosa Rucksack, zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche und gab der Frau den vereinbarten Geldschein. Wegen des Herumtobens und Herumalberns immer noch etwas atemlos, fragte sie ihn, ob er ihr Abzüge schicken könne. Er nickte und notierte sich ihren Namen und ihre Adresse. Zum Abschied tätschelte er den Kopf des kleinen Mädchens, das nach all der Bespaßung jetzt vergnügt in seinem Wagen saß, und streckte dann der Mutter die Hand hin. Doch diese zögerte, sie zu ergreifen, druckste ein wenig herum und kam schließlich mit der Sprache heraus. „Wenn du willst“ – die beiden hatten ihre anfängliche Reserviertheit rasch abgelegt und waren zum Du übergegangen – „wenn du willst und noch etwas drauflegst, können wir in meine Wohnung gehen. Dort sind wir ungestört und könnten“, sie zögerte erneut und schien zu überlegen, wie sie es ausdrücken sollte, „dort könnten wir andere, ich meine etwas freizügigere Bilder machen. Aber“, so fügte sie sofort hinzu, „du darfst das nicht falsch verstehen. Es geht nur um Bilder, sonst um nichts. Kapiert? Ich bin keine Nutte, ich schlafe mit niemandem für Geld. Ich will nur noch mehr gute Bilder von mir“.

 

In der Wohnung

 

Sie gingen in ihre kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im sechsten Stock eines Wohnblocks, der ganz in der Nähe lag. Der Flur war eng und dunkel und vollgestellt mit Tüten, Taschen und Schuhen und voll gehängt mit allerlei Kleidungsstücken. Die Wohnküche, in der er ihr folgte, war sehr einfach, fast schon schäbig eingerichtet und ebenfalls sehr unaufgeräumt. Ein wenig pikiert schaute er auf das Chaos, beschloss aber dann, des höheren Zieles wegen, alles zu ignorieren, was ihn störte. Die Frau entschuldigte sich wegen der Enge, wegen der Kleider auf einem der Stühle, wegen der Spielsachen auf dem Fußboden und der Essensreste auf dem Tisch. Sie setzte das Kind in einen Hochstuhl und wärmte in einem Emailletopf auf einem schon fast historischen Elektroherd Milch auf. Als sie begann das Gröbste aufzuräumen, um etwas Platz zu schaffen, bat er darum, sich in der Wohnung umsehen zu dürfen. „Ich will mir ein Bild von der location machen“ – er benutzte im Zusammenhang mit Fotografieren gerne englische Worte, wie location, shooting, casting oder model – „um zu sehen wo und wie wir deine, wie hast du noch gesagt, etwas freizügigeren Aufnahmen machen können“. „Kein Problem, mach nur, ich koch uns noch schnell einen Kaffee.“ Sie schüttete Kaffeepulver in eine zerbeulte Espressokanne aus Aluminium und stellte sie auf die noch heiße Herdplatte. Er warf erst einen Blick in das kleine Bad und dann in das überraschend geräumige Schlafzimmer. Hier fiel ihm ein brandneuer, großer Fernsehapparat auf, der auf einer Kommode stand und nicht so recht in die armselige Umgebung dieser Wohnung passen wollte. Die Bewohnerin pflegte wohl am liebsten von ihrem sehr breiten Bett aus im Liegen fernzusehen. Das ‘Bett nahm viel Platz ein. Ein Kinderbett sah er nicht.

Dann saßen sie zu dritt am Küchentisch. Das kleine Mädchen hatte seine Milch schon ausgetrunken und spielte ruhig mit einer Puppe, die schon sehr zerfleddert und ziemlich dreckig war und einem zerzausten Plüschaffen. Die junge Frau nahm die Espressokanne vom Herd, als diese zu pfeifen begann, und schenkte Kaffee in zwei Tassen ein. Der Kaffee schmeckte vorzüglich, und während sie tranken, redete die junge Frau und redete. Sie hatte offensichtlich nicht nur Vertrauen zu ihm gefasst, sondern auch ein großes Bedürfnis, jemandem mitzuteilen, in welch misslicher Lage sie sich befand. „Ich lebe allein mit dem Kind. Der Vater, der Arsch, hat uns verlassen. Noch vor der Geburt. Er wollte kein Kind, keine Familie, keine Verantwortung, keine Kosten. Ich sollte abtreiben, und als ich das nicht wollte, war er stinksauer. Er ist dann einfach verschwunden, von jetzt auf nachher, angeblich unauffindbar und er zahlt natürlich auch keine Alimente.“ Ihre Stimme wurde schrill, sie war sichtlich erregt. Dass ein Mann, noch dazu der Vater ihres Kindes, sie einfach hatte sitzen lassen, machte ihr offensichtlich immer noch zu schaffen. Als sie merkte, dass er ihr anscheinend aufmerksam zu hörte, obwohl er sich jeden Kommentars enthielt, auch weil er sich in Gedanken schon mit den kommenden Aufnahmen beschäftigte und keine falsche Bemerkung machen wollte, wurde sie noch vertraulicher und breitete weitere intime Details vor ihm aus. „Jetzt habe ich einen anderen, aber der ist auch nicht das Gelbe vom Ei. Genauso unzuverlässig wie mein Ex, ohne regelmäßige Arbeit, ohne gescheite Ausbildung. Ein Schluri, der nichts auf die Reihe bringt. Ich kapiere selbst nicht, warum ich mit dem noch zusammen bin, aber ganz allein zu sein, ist noch mehr Scheiße. Er will nicht zu mir ziehen, das Kind nervt ihn und auch er will keine Pflichten und keine Verantwortung übernehmen. Scheiß Männer, sag ich dir, obwohl du auch einer bist. Alle sind gleich. Rumpimpern, möglichst für Umme, aber nichts Gscheits, nur Tralala. Er wohnt immer noch bei seiner Mutter. Klar, Pension Mama ist ja viel bequemer und billiger und außerdem vergöttert sie ihr Söhnchen, so ein richtiges Muttersöhnchen. Zu mir kommt er nur, um zu bumsen und sich den Wanst vollzuschlagen, dieser Halodri, und um mich anzupumpen.“ Ihre Stimme beruhigte sich wieder etwas, als sie zu dem Thema wechselte, das sie offenkundig am meisten bedrückte. „Dabei habe ich doch selbst nicht viel, nur das Kindergeld und das bisschen, was ich beim Kellnern verdiene. Mittwochs und sonntags arbeite ich als Bedienung im Paulaner Brauhaus. Du kennst das doch? Das in der Innenstadt. Ich schaffe von elf in der Früh bis Mitternacht. Das Gehalt ist mickrig. Ohne Trinkgeld würde sich das nie lohnen. Zum Glück bekomme ich ganz ordentlich Trinkgeld, aber nur von den Männern“, sie lachte, „die Frauen geben nichts, die sind eifersüchtig, weil die Kerle so auf mich abfahren. Wenn ich auf Arbeit bin, lasse ich die Kleine über Nacht bei der Oma, also bei meiner Mutter. Ich könnte ja auch ganz zu meiner Mama ziehen, das wäre billiger, ich könnte die Miete hier sparen, aber das will ich auf keinen Fall, ich will nicht in die Pension Mama, ich nicht. Die will immer so viel wissen, fragt mich ständig aus und will mir vorschreiben, was ich tun soll und auch mit wem. Kannst du dir das vorstellen? Mir immer noch Vorschriften machen? Nein, meine Freiheit gebe ich nie mehr auf, nie mehr.“ Zur Bekräftigung schlug sie mit der flachen Hand laut auf die Tischplatte, sodass die Kleine in ihrem Hochstuhl erschrocken auffuhr, doch sofort strich ihr die Mutter beruhigend über die Haare und trank einen Schluck Kaffee. Dann lamentierte sie über die hohen Preise, „obwohl ich immer nur zu Aldi gehe“, die teure Miete, „eigentlich ist die Sozialwohnung nicht teuer, aber die Nebenkosten, Strom, Müllabfuhr, all der Scheiß“, stöhnte über die Schwierigkeiten, an schicke Kleidung zu kommen, „wenn man anständig aussehen will, brauche man auch anständige Klamotten“, und „ich kaufe nur in Secondhandshops und auf dem Flohmarkt, da findet man ganz tolle Sachen, Klamotten und Unterwäsche oder glaubst du ich könnte mir diese Bluse und diesen BH leisten?“. Dann stöhnte sie, wie viel Geld sie für die Schönheitspflege ausgeben müsse. „Einmal in der Woche kommt eine Freundin, eine gelernte Friseuse, die macht es schwarz, braucht aber auch Geld, und wenn ich meine Haare mal eine Woche nicht machen lasse, sehe ich grauenvoll aus.“ Ihr Resümee: „Ich kann doch nicht in Sack und Asche herumlaufen. Wer guckt mich dann noch an? Eine Frau will angeschaut werden, das ist überlebenswichtig, glaub mir.“ Schließlich endete sie resigniert mit der Klage, dass sie sich nichts leisten könne und wegen dem Kind immer zu hause bleiben müsse und nirgends hin könne, bloß in den Park und auf den Spielplatz, immer nur Spielplatz und Park, und das jeden Tag, immer dasselbe. Die einzige Abwechslung sei die Glotze und deswegen habe sie sich auch ein neues Gerät gekauft, obwohl sie sich das eigentlich gar nicht leisten könne. „Ich bin jetzt bis über die Ohren verschuldet, aber das ist mir scheißegal.“ Damit war sie mit dem Jammern am Ende und versicherte ihrem stummen Zuhörer, dass heute ein guter Tag sei. Sein Auftauchen und der Wunsch, sie zu fotografieren, sei eine hochwillkommene Abwechslung in dem langweiligen Alltag und das Schönste sei, dass sie dafür sogar noch Geld bekommen habe. „Kaum zu fassen“, meinte sie, „für’s Spaß haben, auch noch Geld kriegen.“

Sie lachte und schien endlich ihren Frust abgeladen zu haben. Der Kaffee war ausgetrunken und sie kündigte an, sich jetzt für die Aufnahmen, für die besonderen Aufnahmen, wie sie schelmisch hinzufügte, schminken zu wollen. Sie kramte aus ihrer Handtasche einen Kamm, Lippenstift und einige Döschen und Tuben hervor und ging in das Bad. Mit lauter Stimme rief sie, „Weißt, du, so richtig schön fotografiert werden, so richtig schöne, große, tolle Starbilder von mir, das habe ich schon immer gewollt. Aber leider hat das noch nie geklappt. Ich hab noch nie jemand getroffen, der das für Umme gemacht hätte und Geld für Studioaufnahmen habe ich keins. Ich wäre liebend gern Fotomodell geworden, das war schon immer mein Traum, weißt du, schon als Kind. Ich schau mir alle Castingshows im Fernsehen an. Einmal bei Germany’s next Topmodel aufzutreten, das wäre toll.“ Sie kam wieder in die Küche und er begutachtete ihr Werk: den dezenten Lidschatten, das tiefschwarze Kajal, das frische Rouge auf den Wangen. Sie besaß sichtlich Übung und Geschmack. Nur beim Lippenstift wunderte er sich über ihren Einfall, fand das Ergebnis aber ganz gut. Sie hatte ihre etwas zu schmalen Lippen betont auffällig mit blutroter Farbe nachgezogen und dadurch die kleine Narbe fast vollständig verdeckt. Nun war es aber die auffällige Farbe, die ihr ein laszives, leicht ordinäres Aussehen gab und sie jetzt noch eine Spur vulgärer auf ihn wirkte, als auf dem Spielplatz. Sie war durch das Make-up nicht hässlicher geworden, aber auch nicht schöner. Doch nun wollte er endlich die Aufnahmen machen, an die er die ganze Zeit gedacht hatte, als sie auf ihn eingeredet hatte und fragte, ob sie jetzt mit ihrer Vorbereitung fertig sei und sie beginnen könnten. Doch seine Geduld wurde noch einmal auf die Probe gestellt, denn sie setzte sich wieder an den Tisch, weil sie unbedingt noch etwas los werden musste, wie sie ihm gestand. „Weißt du, was mein zweiter Traumberuf wäre? Schauspielerin! Früher habe ich jedes Jahr in der Kirchengemeinde bei den Passionsspielen mitgemacht und die Maria Magdalena gespielt, du weißt schon, das ist die, die den Jesus verführen wollte. Ich war gut und die Leute haben bei mir viel geklatscht, vor allem die Männer. Der arme Jesus war total verwirrt, so hab ich mich an den ran gemacht. Der Pfarrer“, sie musste bei der Erinnerung kichern, “ der Pfarrer hat mich immer bremsen müssen, ich solle nicht gar so forsch sein, mich nicht so direkt auf den armen Jesus stürzen, damit er nicht zu viel sündige Gedanken bekomme, das hat er gesagt.“ Sie schwieg bei der Erinnerung an ihre schauspielerischen Erfolge einen Moment lang und blickte versonnen in eine ungewisse Ferne, bevor sie die Unterhaltung mit einem Bekenntnis beendete. „Von dir habe ich einen guten Eindruck. Ich kenn mich aus mit Männern, glaub mir. Du bist ein ehrlicher Typ und außerdem machst du tolle Bilder, echt tolle Bilder.“ Toll war eines ihrer Lieblingsworte. Sie verwendete es häufig. „Du willst nicht nur meinen Arsch und meine Titten knipsen. Du willst Kunst.“ Sie stand auf, schien aber immer noch angestrengt nachzudenken. „Wenn du willst“, sie rang mit sich, „wenn du willst, kannst du auch besondere Fotos von mir machen. Verstehst du? Aktfotos, ich völlig nackt. Kein Problem, das kostet aber mehr“. Er wollte.

 

 Die Kunst des Entblätterns

 

Endlich begannen sie mit den Aufnahmen, brauchten allerdings in der neuen Umgebung einige Zeit, um sich einzugewöhnen und einzuarbeiten. Die ersten Bilder waren dem entsprechend: stereotype, konventionelle Totalen, ausdrucksarme Halbporträts, Vollporträts ohne Inspiration, ohne das gewisse Etwas. Die junge Frau saß auf einem Stuhl, stand am Fenster, kauerte auf dem Fußboden. Die enge, dunkle Wohnung war kein guter Ort zum Fotografieren. Er bedauerte mehrfach lautstark, dass die „location“ nichts tauge. Es sei zu wenig Raum vorhanden, zu wenig Platz, um ein „model“ auch nur halbwegs gut in Szene zu setzten. Auch mit dem Licht, dieser bescheuerten Mischung aus Tageslicht und Deckenlampe, wie er ihr erklärte, war er nicht zufrieden. Er musste öfter als er wollte den Blitz einsetzen, obwohl die Gefahr groß war, dass dessen hartes Licht alles totschlug, den letzten Rest von Charme vertrieb, den Hauch des Geheimnisses, das er festhalten wollte, gnadenlos zuballerte. Aber mit der Zeit fand er genau diese beschränkte Situation doch recht interessant, eine fotografische Herausforderung. Er hatte nämlich begonnen, das obskure Objekt seiner Begierde hautnah aufzunehmen, zwar noch nicht im wahrsten Sinne des Wortes, das würde noch kommen. Aber er sezierte sie mit der Kamera und arbeitete die Details mikroskopisch heraus: die Hände mit den Ringen in sehr unterschiedlicher Qualität und Größe an fast allen Finger, einige schlicht und kaum wahrnehmbar, andere aufdringlich und pompös, die Füße mit dünnen Kettchen um die Fesseln in den abgetragenen Sandalen, die helle, nackte Haut zwischen Jeans und Bluse, den tiefen Ausschnitt zwischen den hochgewölbten Brüsten, die pralle Rundung ihres Hinterns in den knappen Jeans. Am meisten angetan war er jedoch wieder von ihrem Gesicht, das ihn bereits im Freien am meisten inspiriert hatte: die hohen Backenknochen, die etwas zu große Nase mit den schmalen Nüstern, der grell rot bemalte Mund mit den tadellosen Zähnen, die hohe Stirn, darüber der wirre Lockenberg und vor allem diese Augen, diese schwarzen Gazellenaugen, mit großen Wimpern und großen Pupillen, die ihn einmal ganz unschuldig, dann provozierend, als nächstes verträumt und, auf seinen Wunsch, auch voller Verachtung anblickten. Er war begeistert von ihr, von ihrer Ausdrucksvielfalt und sagte ihr mehrfach, wie faszinierend ihr Gesicht und vor allem ihre Augen seien.

Doch bei aller Faszination hatte er auch hier, in dieser speziellen „location“, irgendwann alles aufgenommen, was es auf diese Weise aufzunehmen gab und nun wollte er endlich zum Höhepunkt kommen, zu den avisierten Nacktaufnahmen. Sie machte jedoch von sich aus keine Anstalten, sich auszuziehen und so fragte er schließlich, „Was ist denn jetzt mit den freizügigen Aufnahmen?“ Sie zögerte und schien ein wenig Angst vor der eigenen Courage zu haben. „Du bist nicht der erste Mann, vor dem ich mich ausziehe, aber fotografiert hat mich noch keiner dabei und auch noch nie nackt“, sagte sie verlegen lachend. Doch dann begann sie, ihre Kleider abzulegen, langsam und theatralisch. Erst schlüpfte sie aus den Sandalen, dann knöpfte sie die Bluse auf und streifte sie über die Schultern, danach zippte sie langsam, Millimeter für Millimeter den Reißverschluss der Jeans nach unten und zerrte diese, etwas mühsamer, als es notwendig gewesen wäre, über die breite Hüften, über die strammen Oberschenkel, die Knie, die kompakten Unterschenkel bis zu den schmalen Füßen mit den rot lackierten Fußnägeln. Nach diesem Striptease, den er natürlich im Detail festgehalten hatte, richtete sie sich wieder auf und stand nun fast nackt vor ihm. Sie hatte nur noch den lila BH an, diesen filigranen Hauch von fast nichts, der die großen Brüste kaum bändigen konnte und durch den die braunen Brustwarzen deutlich zu sehen waren und einen ebenso minimalen, wie farblich unpassenden, rosa Tangaslip, der auch nichts verbergen konnte und sollte. Sie machte eine längere Pause, gab ihm Zeit, um sie zu bewundern, wie er vermutete, setzte sie gekonnt und konzentriert und dabei ständig in die Kamera schauend, den Strip fort. Verführerisch lächelnd wiegte sie sich in den Hüften, streckte die Brust vor, warf den Kopf mit all der Lockenpracht in den Nacken und kam langsam zum Höhepunkt ihrer Darbietung. Sie dreht ihm den Rücken zu, streifte erst den einen dann den anderen lilafarbenen Träger auf die Oberarme, wandte sich ihm wieder halb zu und holte nun erst die eine, und nach einer erneuten halben Drehung, die andere Brust aus den engen, Körbchen. Ihre Brüste waren wohlgeformt, nicht zu groß, nicht zu klein, fest und mit bräunlichen, aufgerichteten Brustwarzen. Sie schaute, ein wenig verlegen, erst auf ihre Brüste, dann auf den Fotografen, drehte den BH so, dass der Verschluss nun vorne war und nestelte an dem Häkchen. Sie tat so, als käme sie mit dem Verschluss nicht klar, als sei es das erste Mal, dass sie ein solches Kleidungsstück öffnete, doch dann, als sie es geschafft hatte, warf sie diesen Traums in Lila mit einem unerwarteten Schwung direkt auf das Objektiv des verdutzen Fotografen. Beide lachten laut über diesen Gag und vor lauter Lachen konnte sie den letzten Teil ihrer Darbietung, das Abstreifen des Tangaslips, nicht mehr so aufreizend und gekonnt vornehmen, wie sie es vielleicht gewollt hatte. Das rosa Nichts landete mehr oder weniger unspektakulär auf ihren Füssen und wurde mit einem Tritt in eine Zimmerecke befördert. Er hatte sie, während sie sich auszog, ständig im Sucher der Kamera beobachtet und den gesamten Prozess des Entblätterns im Detail festgehalten. Als sie schließlich doch ein wenig verlegen, fast bieder vor ihm stand, die Hände vor ihrer Scham, umkreiste er sie mehrmals und betrachtete unverhohlen die frisch entblößten Körperdetails, die straffen Brüste mit den braunen Brustwarzen, die nun sehr steil hoch standen und das schwarze Dreieck zwischen den Beinen, soweit es von ihren Händen nicht verdeckt war. Obwohl ihr seine direkte Art, sie abzulichten, seine rücksichtslose Nähe, seine alles enthüllende Forschheit und die ständig klickende Kamera anscheinend nichts ausgemacht hatten, so lange sie angezogen war, wurde ihr seine plumpe Neugier, nun da sie vor ihm stand, wie Gott sie erschaffen hatte, sichtlich unangenehm. Sie wich nun leicht zurück, wenn er die Kamera auf sie richtete und wenn er ihr Gesicht beobachtet hätte, hätte er gemerkt, dass er dabei war, eine Grenze zu überschreiten. Aber er sah ihr nicht in das Gesicht, er konzentrierte sich, ganz Spanner und Voyeur, auf die spannenderen Details des weiblichen Körpers und das hatte zur Folge, dass er mittlerweile ein Problem hatte. Es fiel ihm zunehmend schwer, sich nur auf das Fotografieren zu konzentrieren, immer öfters schaute er sie direkt und unverhohlen an, denn auch für ihn war die Arbeit mit einer nackten und zudem noch so sinnlichen Frau eine seltene, ungewöhnliche Situation. Mit jeder Aktion ihrerseits – er war fasziniert, wie gekonnt und aufreizend sie sich ihrer Kleider entledigt hatte, wie scheinbar unbekümmert sie sich jetzt zur Schau stellte und wie selbstverständlich sie ihn hatte gewähren lassen – mit jedem Kleidungsstück, das auf den Boden glitt, war seine sexuelle Erregung und damit seine Begierde gewachsen. Jedes zusätzliche Stück freier Haut, das sichtbar wurde, hatte sein Begehren gesteigert. Ein Begehren, ja geradezu eine Gier, die bereits bei ihrem ersten Anblick aufgekeimt und ihn nicht wieder verlassen hatte und nun mit Macht in ihm tobte. Aber er hatte sich bisher beherrscht und er würde sich weiterhin beherrschen. Endlich merkte er ihre Unsicherheit und hob nun wieder den Sucher ans Auge und konzentrierte sich verbissen auf die Bedienung der Kamera, auf die richtige Blende, die optimale Tiefenschärfe, auf den Einfall des Lichts und die beste Bildkomposition. Obwohl sein „model“ ihn auch als Frau sehr an- und aufregte, zwang er sich, in ihr nur ein Fotomotiv zu sehen, nur ein Objekt, nicht mehr und nicht weniger, das er unter schwierigen Bedingungen so gut wie möglich aufnehmen wollte.

Dieses Objekt musste seine innere Anspannung, seine Erregung mit Sicherheit bemerkt haben, aber, nachdem sich ihre erste Scheu, ihre unprofessionelle Abwehr gegen seine Anwesenheit, gelegt hatte, wurde sie wieder gelöster und im Verlauf der nun folgenden Aufnahmen ihres nackten Körpers auch zunehmend sicherer. Sie erfand rasch wieder neue Positionen und setzte sich perfekt und mit starker erotischer Ausstrahlung in Szene. So beugte sie sich über den Küchentisch, bis ihre Brüste die Tischplatte berührten, streckte ihm dabei ihren Hintern entgegen, setzte sich dann auf den Rand des Spülbeckens, den Oberkörper nun weit nach hinten gereckt, um auf den Brüsten zwei Eierbecher als BH-Ersatz balancieren zu können. Dann zog sie sich kniehohe Schaftstiefel an, und nachdem er sie in verschiedenen Posen abgelichtet hatte, hockte sie sich in die leere Duschkabine und zog den Duschvorhang so über ihren Oberkörper, dass nur noch die gespreizten, abgewinkelten Beine sichtbar waren. Zur Krönung legte sich schließlich wieder völlig nackt auf das breite Bett, spreizte die Beine und betastete mit unverhohlener Lüsternheit ihren Körper, bis sich ihre Hände schließlich in ihrer Scham verkrallten. Nur noch ein winziger Schritt trennte die beiden von der reinen Pornografie oder waren sie dort schon angekommen? Doch selbst in dieser spannungsreichen, heiklen Situation wirkte sie entspannt und amüsiert und auch er, der immer noch mit seinen Aufwallungen zu kämpfen hatte, blieb zumindest nach außen cool und beherrscht. Er hatte sich weitgehend gefangen, hatte seine Gefühle unter Kontrolle und nutzte die einmalige Situation weidlich aus, eine hübsche, nackte, junge Frau detailliert und ausgiebig, ohne Beschränkungen, ohne Peinlichkeiten fotografieren zu können. Er ging mit der Kamera wieder ganz dicht an das Objekt seiner Lust und seiner Leidenschaft heran, doch statt der großen Gazellenaugen, faszinierten ihn nun ihre aufgerichteten Brustwarzen, statt der beringten Hände die strammen, makellosen Pobacken und statt der Lockenpracht ihres Haupthaars, die krause, schwarze , geheimnisvolle Wildnis ihres Venusdreiecks. All diese Objekte ihrer Weiblichkeit nahm er formatfüllend auf, sie wurden digital fixiert und auf diese Weise auch von ihm in Besitz genommen. Während er konzentriert mit den Details arbeitete, stellte sich auch wieder die professionelle Abgeklärtheit des Fotografen ein, der ablichten und dokumentieren und nicht selbst erleben will, der nicht selbst betroffen sein will, der nur ein kühler, abgeklärter Beobachter ist und vor allem kein pubertierendes Jüngelchen. Wie schon zuvor, bei den ersten Aufnahmen in der Wohnung, achtete er auch jetzt wieder darauf, dass die triste Umgebung des „Studios“ in genau der richtigen Dosis präsent war. Er überlegte sich, wie das Modell und das Milieu eine glaubwürdige Einheit bilden und die pure Nacktheit eine Symbiose mit dem tristen Alltag darstellen könnte. Er wollte den Widerspruch „schöne Frau in schäbiger Wohnung“ möglichst spannend darstellen und nicht nur einen nackten Körper en gros et en detaille aufnehmen. Weil er wegen der Lichtverhältnisse mit sehr weit geöffneter Blende fotografieren musste, konnte er raffiniert mit der Tiefenschärfe spielen. Die unschönen Schatten und Lichter der „bescheuerten Lichtsituation“ setzte er bewusst als ungewöhnliches Stilelement ein. Er arrangierte auch ein paar vorhandene Assessoires, so die herumliegenden Kleidungsstücke, sehr geschickt, um dramatische, aufregende Effekte zu erzielen. Viele Aufnahmen waren unscharf, verwischt und verwackelt, aber er fand, dass sie gerade wegen dieser Unvollkommenheiten in der gegebenen Situation durchaus angebracht waren.

Als sie nach dieser intensiven Arbeit eine Pause machten und er der jungen Frau die Bilder auf dem kleinen Monitor der Kamera zeigte, war sie begeistert. „Mann, seh ich toll aus! Kommt meine Figur nicht prima raus? Und diese Großaufnahmen erst, Spitze!“ Ganz zufrieden war sie bei längerem Hinschauen aber dann doch nicht. „Mein Busen, ist der nicht zu groß und mein Hintern viel zu flach? Und der Bauch, eindeutig zu viel Fett, da muss was weg.“ Auch er war sich nicht ganz sicher, ob er wirklich mit der Ausbeute zufrieden sein sollte. Denn obwohl er sich einen lang gehegten Wunsch erfüllt hatte und trotz aller Besonderheiten, die diese Frau und diese Bilderserie auszeichneten, trotz seines professionellen Vorgehens und der Aktivität und des Einfallsreichtums seines Modells, erschien ihm das Ergebnis reichlich konventionell und deswegen ein bisschen langweilig. Nackte Frauen wurden schon Millionen Mal fotografiert und Aktbilder gab es zuhauf, auch solche in Wohnküchen und engen Badezimmern. Keine Pose, keine Stellung, keine Situation, keine Absonderlichkeit ist vorstellbar, die nicht schon irgendwann, irgendwo und von irgendwem festgehalten und veröffentlicht wurde. Das Internet ist in der Hinsicht wirklich unerschöpflich. Was konnte man da noch anders machen? Womit konnte man noch jemanden beeindrucken? Eine gewisse Resignation breitete sich in ihm aus, gepaart mit Traurigkeit, weil die Einfälle, sowohl seine, als auch die der jungen Frau, deutlich nachgelassen hatte, ein Zeichen, dass sich das „shooting“ endgültig seinem Ende näherte. Doch dann, auf dem Tiefpunkt, kurz vor dem Abbruch, geschah etwas, was die Situation veränderte. Die Karten wurden neu gemischte, die erotische und die fotografische Spannung wurden mit einem Schlag wieder belebt. Es war eigentlich nur eine belanglose Kleinigkeit, aber eine mit nachhaltigen Folgen. Durch eine fahrige Bewegung stieß er mit der Kamera an ihren Arm, als sie gerade dabei war, ihre Lippen nachzuschminken. Die Folge war ein blutroter Streifen, der sich vom Mundwinkel zum Kinn hin abzog und ihrem Gesicht, zusammen mit der wieder deutlich sichtbaren kleinen Narbe auf der Oberlippe, ein ganz anderes Aussehen gab. Auf einmal war da ein brutaler, gewalttätiger Zug in diesem ohnehin schon herben Gesicht. Sie wollte das Missgeschick korrigieren und mit einem Tempotaschentuch abwischen, doch er starrt sie fasziniert an und hielt ihre Hand fest. „Lass das, so wie es ist. Das sieht ja aus wie Blut, wie eine Verletzung, wie nach einem Angriff. Da könnten wir doch was draus machen“. Er entwickelte aus dem Stegreif einen neuen Plot und sie griff die Idee begeistert auf, spann sie fort und entwickelte daraus ein neues Spiel. Ein Spiel von Lust und Gewalt, das mit der verführerischen Anmache einer Sex hungrigen Frau beginnen, mit aufkeimender Geilheit fortfahren, mit einer fatalen Vergewaltigung seinen Höhepunkt erreichen sollte, um in schließlich in Einsamkeit, Depression und Verzweiflung zu enden. Ein Spiel, in dem nur das Opfer auf den Bildern festgehalten wurde, nicht jedoch der Täter, weil es keinen gab.

 

Nahe an der Realität

 

Nachdem er zugesichert hatte, ihr zusätzlich Geld für eine neue Bluse und neue Unterwäsche zu geben, ging sie in das Schlafzimmer und kam mit abgetragenen Kleidern wieder. Die Bluse war wohl einmal blau gewesen, nun aber verwaschen und fleckig, die Jeans abgeschabt mit großen, zerfransten Löchern, echten Löchern, keine Designerlöcher. Der durchbrochene, lila BH war durch einen altmodischen weißen ersetzt, dessen einer Träger geknotet und an dessen einem Körbchen die Naht ein Stück weit aufgeplatzt war. Zur ersten Einstellung setzte sie sich mit halb aufgeknöpfter Bluse auf den Küchenstuhl, ein Bein ausgestreckt, das andere auf den Sitz hochgezogen. Sie blickte mit den großen Augen eines Kindes in die Kamera, schelmisch, neugierig, erwartungsfroh, aber auch schon ein wenig verführerisch. In der nächsten Szene stand sie breitbeinig in der geöffneten Schlafzimmertür, die Bluse noch weiter aufgeknöpft, die Brust vorgestreckt. Ihre Augen waren nur noch schmale Schlitze, die Zunge leckte ganz leicht die blutroten, leicht verschmierten Lippen, gerade so, dass man die Wollust dieser Frau mehr als nur ahnen konnte. Der Höhepunkt der Verführungspose war die dritte Einstellung. Sie lag nun ausgestreckt auf dem Bett, das Laken zerknüllt, die Bluse völlig offen, die Brüste quollen deutlich aus den zu engen Körbchen des alten BHs, die Jeans bis zu den Knien herab gezogen. Der rosa Slip bedeckte nur knapp ihr dunkles Venusdreieck. Sie hatte den Unterleib leicht angehoben und die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Die Augen waren geschlossen, der Mund lasziv leicht geöffnet, bereit für heiße Küsse und jegliche Oralarbeit. Sie lag da, in sehnsüchtiger Erwartung eines aufgegeilten Mannes, der sich gleich auf sie stürzen würde. Nachdem er diese Aufnahmen gemacht hatte, bereitete sie sich, von ihrem eigenen Tun ganz atemlos und aufgewühlt, für den zweiten Teil des Dramas vor. Mit Schminke, Lippenstift und Wasserfarben malte sie sich Kratzwunden auf Arme und Beine, blaue Flecken auf die Brüste und Blutspuren in das Gesicht. Sie zog die Jeans aus, zerriss die Bluse und vergrößerte die aufgeplatzte Naht des BHs so weit, dass nun eine Brust ganz frei war. Sie verwandelte sich völlig überzeugend und glaubwürdig, von der geilen Verführerin in das misshandelte, gedemütigte Opfer. Ein Opfer, das wieder halbnackt auf dem Bett lag, jedoch nicht in der verführerischen Pose der Erwartung, sondern in der einer verletzten, verzweifelten, geschändeten, halbtoten Frau. Dann kroch sie mit letzter Kraft über den Fußboden in die Küche und lehnte sich, heulend und schluchzend, an ein Bein des Küchentischs. Diese Tränen waren wirklich echt, stellte er fest, was für eine Schauspielerin.

Nach diesen aufregenden Aufnahmen zogen sie Bilanz. Es war für beide harte Arbeit gewesen, aber eine Arbeit, die sich gelohnt hatte. Beide waren mit dem Resultat sehr zufrieden. Für die junge Frau hatte sich ein Traum erfüllt, weil sie ihr schauspielerisches Talent voll ausreizen und mit ihrem Hang zum Posieren kombinieren konnte. Sie war von ihren Fähigkeiten selbst überrascht und hatte begeistert die Gelegenheit ausgenutzt, sich einmal voll auszuleben, einmal das vor einer Kamera zu tun, was man sich sonst zu tun nicht traut. Sie hatte sich in ihre Aufgabe hineingesteigert, immer delikatere Stellungen und immer gewagtere Positionen eingenommen und die Rolle der Verführerin wie auch der Erniedrigten sehr gut gespielt. „Es war einfach toll“, sagte sie mehrfach „War ich nicht super?“, wollte sie wissen. Er bestärkte sie in ihrer Ansicht, überhäufte sie mit Komplimenten und sagte, dass er nun auch rundum zufrieden sei. Er sagte ihr allerdings nicht, dass auch für ihn ein geheimer Wunsch endlich in Erfüllung gegangen war. Es war nicht der Anblick einer nackten Frau, schließlich war er verheiratet, auch nicht die direkten, höchst stimulierenden, sexuellen und erotischen Elemente, die ihn begeistert hatten, obwohl die natürlich auch, er war schließlich ein Mann und hatte sich einigermaßen unter dem Andrang der Hormone beherrschen müssen. Nein, es war die Erfahrung, als kühler, objektiver Fotograf diese irritierenden, hoch emotionalen Szenen distanziert und scheinbar emotionslos, akribisch festzuhalten. Bilder von Gewalt und Brutalität, selbst wenn sie nur gespielt, gut gespielt waren, in Kunst zu verwandeln. Szenen von unbändiger Leidenschaft, aufwühlender Erotik und tiefer Scham, die sich vor seinen ungläubigen Augen abgespielt hatten, in faszinierenden Fotosequenzen festzuhalten. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass er auch in solchen Situationen gute Arbeit leisten konnte. Kurz und gut, beide hatten diese inszenierte „reality show“ höchst spannend und dramatisch gefunden. Es war so völlig anders gewesen, als das, was beide bisher gemacht und erlebt hatten. Einige bisher weitgehend verborgene Talente und Obsessionen, die in ihnen schlummerten, waren zutage getreten und konnten sich entfalten: das Mädchen als unentdecktes Modell und verkannte Schauspielerin, der Fotograf als unterschätzter Künstler und Regisseur dramatischer Szenen. Selbst auf dem kleinen Monitor sah er, dass die Bilder gut, ja sehr gut, waren.

Nachdem die erste Begeisterung etwas verebbt war, betrachteten sie noch einmal in Ruhe die Bilder auf dem Monitor. Er hatte mit verschiedenen Techniken gearbeitet. Viele Bilder waren situationsbedingt unscharf, verwackelt und unterbelichtet. Sie glichen Bildern, die ein Voyeur zufällig geschossen hatte oder Bildern, die ein zynischer Verbrecher von seinem gedemütigten Opfer gemacht hatte, um es zusätzlich zu verhöhnen und seine Verzweiflung auch noch zu dokumentieren. Andere Bilder waren wiederum brutal scharf und hart oder bewusst über- oder unterbelichtet, weil er das Opfer direkt angeblitzt oder fast wie nebenbei abgelichtet hatte. Es gab Bilder ohne jede Distanz und ohne Rücksichtnahme auf verletzte Gefühle. Es waren Bilder im Stil des legendären Polizeireporters Weegee der vierziger Jahre. Dann wieder Bilder, die seltsamerweise poetisch und anrührend waren, obwohl die „Tat“ im Hintergrund immer zu ahnen war. Die Art, wie er diese Frau in ihrer Rolle fotografiert hatte, widersprach jedenfalls allen Regeln der klassischen Akt- und Porträtfotografie und allem, was er bisher gemacht hatte. Die Ergebnisse waren von den geleckten Aufnahmen der Hochglanzmagazine und der verlogenen Beautyfotografie der Werbung, von den kümmerlichen Versuchen der Amateure im Schlafzimmer Erotik zu schaffen und der ausgebufften Profis, diese mit hohem Aufwand zu inszenieren und teuer zu verkaufen, weit entfernt. In einem Punkt waren sich beide einig, diese Bilder waren um Klassen besser, als die vorausgegangenen, konventionellen Aufnahmen. Sie waren authentisch und realistisch und glaubwürdig, aber nicht nur, weil alles echt aussah, die aufgemalten Blessuren, die Flecken und Schrammen, die Prellungen und die schäbigen, zerfetzten Kleider. Nein, sie waren glaubwürdig, weil sein Modell, diese junge Frau vom Spielplatz, so glaubwürdig war, weil sie ihre Rolle so unheimlich gut gespielt hatte, so beängstigend gut in ihrer Körperhaltung, in ihrem Gesichtsausdruck, in ihrem Wollen und ihr ihrem Leiden. Die Rolle einer Frau, die in der armselige Umgebung, in der sie leben musste, einerseits das Glück der körperlichen Liebe herbei gesehnt, mit ihren weiblichen Mitteln geradezu eingefordert hatte, dann aber gedemütigt, misshandelt, vergewaltigt und dabei noch fotografiert worden war, als wäre das Leben allein unter solchen Bedingungen nicht schon Strafe genug. Aber es war nicht nur die Dokumentation eines solch schlimmen Vorfalls, der beide begeisterte, es war die künstlerische Erhöhung dieses Ereignisses, die gekonnte Inszenierung des nicht Darstellbaren, Perversion und Überhöhung zugleich. Er dachte auch, ohne es seinem Modell zu sagen, wenn er diese Bilder veröffentlichen würde, er musste tief atmen, wenn die irgendwo erscheinen würden, dann hätte sich der Traum eines jeden Fotografen erfüllt, er wäre auf einen Schlag ein Star und er könnte sogar Geld verdienen, und wenn er es richtig anstellen würde, könnte er richtig viel Kohle machen, denn viele Menschen sind Voyeure und geilen sich am Leid anderer auf, vielleicht mehr noch als an deren Freuden und genießen morbide, unmoralische Kunstwerke mehr, als sie je zugeben würden.

Das Rollenspiel und die intensive Erfahrung des nahezu Realen hatten beide so fasziniert und beschäftigt, dass sie das kleine Mädchen in seinem Hochstuhl fast vergessen hatten. Es hatte erst still dagesessen und begeistert dem unverständlichen, aber anscheinend vergnüglichen Treiben der Erwachsenen zugeschaut und war dann eingeschlafen. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass es im Hochstuhl wartete und spielte und schlief. Doch nun war sie aufgewacht, hatte Hunger und rief lautstark, „Mama, Brot essen wollen“. Damit war der Zauberbann gebrochen und die seltsam angespannte, erotisierte Atmosphäre fort geweht, aber alle drei waren gut gelaunt, ja geradezu glücklich. Das Glück der jungen Frau wurde nur ein wenig dadurch getrübt, dass sie nicht soviel Geld bekam, wie sie sich erhofft hatte, als zusätzlichen Bonus für ihre Leistung. Aber er versicherte ihr, dass er nicht mehr dabei habe, und zeigte ihr zum Beweis sein leeres Portemonnaie. Nach einigem Grummeln nahm sie das, was er ihr hinhielt. Als er nun schon zum zweiten Mal an diesem Nachmittag dem Kind zum Abschied über den Kopf strich, zögerte er einen Moment und war versucht, noch ein paar Aufnahmen von dem freudig winkenden Mädchen in seinem Hochstuhl zu machen. Aber es ging nicht mehr, die Speicherkarten waren voll und auch der Reserveakku war leer und er hatte absolut keine Lust auf weitere konventionelle Aufnahmen. Genug ist schließlich genug, sagte er sich. Im Treppenhaus reichte ihm die junge Frau nicht nur die Hand, sondern umarmte ihn und drückte ihm sogar einen Kuss auf die Wange. „Danke für diesen Nachmittag, es war einer der schönsten und spannendsten in meinem ganzen Leben“ und, fügte sie hinzu „weißt du, was ich ganz prima fand? Dass du nicht versucht hast, mich anzumachen und mich zu begrapschen oder zu bumsen, dass du nur diese tollen Bilder gemacht hast“.

 

Ein Brief

 

Auch er fand die Bilder „toll“, als er sie daheim am Computer bearbeitete. Es waren naturgemäß die letzten Bilder, die außergewöhnlich waren, spannungsreich und emotional, höchst anregend und geradezu gefährlich aufregend. Er würde es sich gut überlegen müssen, was er mit ihnen anfangen sollte, ja er fragte sich, ob er sie überhaupt jemandem zeigen oder sie gar veröffentlichen sollte. Sie waren so realistisch, dass ihm niemand abnehmen würde, dass die Situation nur gestellt und die Vergewaltigung nur gespielt war. Er tat sich schwer mit der Entscheidung, weil er noch nie so gute Bilder gemacht hatte, lauter kleine Kunstwerke. Er überlegte sich auch, ob er diese verfänglichen Bilder der jungen Frau schicken sollte oder lieber nur die, mit den schönen, harmlosen Szenen auf dem Spielplatz und die mit den Körperdetails aus Wohnung, als sie noch in der ersten Phase ihrer Arbeit waren. Aber sie war ja vor allem von der zweiten Phase so begeistert und hatte die Bilder ja schon auf dem Monitor gesehen und er fand, dass sie als Modell ein Recht hatte, alles zu sehen und das Resultat bestimmt auch sehen wollte. Als der Begriff „Recht“ durch seinen Kopf waberte, fragte er sich, ob sie auch das juristische Recht an ihren Bildern habe, obwohl sie ja Geld für das „shooting“ erhalten hatte und somit keine weiteren Ansprüche mehr stellen konnte. Er ärgerte sich, dass er weder den Empfang des Geldes hatte quittieren lassen, noch gar eine Art Vertrag über die Verwendung der Bilder hatte unterschreiben lassen. Aber wozu dieses „shooting“, das so harmlos begonnen hatte, noch geführt hatte, hätte er sich beim besten Willen nicht vorstellen können. Dann kam auch noch ein bisschen Eitelkeit ins Spiel. Er wollte ihr sein Können vorführen, ihr die Genialität des gemeinsamen Werkes zeigen, von ihr gelobt, vielleicht sogar ein wenig angehimmelt werden, vielleicht sogar um ein neues Treffen gebeten oder gar angefleht werden. Also legte er dem Brief, den er ihr schickte, auch einige der äußerst verfänglichen Bilder bei.

Er bekam keine Antwort, kein „Danke schön“, keine Bitte nach einem neuen Treffen, nach weiteren Aufnahmen, nach mehr Kribbeln erregende „shootings “. Darüber war er vor allem enttäuscht, wusste aber auch, dass sich die Einmaligkeit dieser Begegnung nicht wiederholen lassen würde, der zweite Aufguss wäre nur noch ein fades Gebräu. So kam es, dass er das Ereignis zwar nicht vergaß, so etwas vergisst man nie, aber durch andere Aktivitäten allmählich verdrängte. Von einer Veröffentlichung hatte er dann doch, nach intensivem Nachdenken und mangels Kontakten zu einem geeigneten Medium, Abstand genommen. Doch das aufregende Ereignis war keineswegs folgenlos. Ein paar Wochen später kam ein Brief. Es war ein billiger Umschlag, ohne Absender und darin war nur ein Bild, ein einziges, dafür aber eindeutiges Bild. Es zeigte die fast nackte, junge Frau auf dem Fußboden der Küche sitzend, den Oberkörper gegen den Küchentisch gelehnt. Ihr BH war zerrissen, eine der Brüste frei, darauf zeichnete sich ein großer schwarz-blauer Fleck ab, den sie vergeblich mit einer Hand zu verdecken suchte. Mit der anderen zog sie krampfhaft ihren Slip nach oben, als ob sie dadurch verhindern könnte, dass ihre Blöße zur Schau gestellt wurde. Unter dem Slip sah man eine verschmierte rote Blutspur hervorkommen, die sich bis über den halben Oberschenkel hin abzog. Am eindringlichsten waren jedoch die ängstlichen, weit aufgerissenen Augen, die verzweifelt in die Kamera starrten. Der Anblick dieser verzweifelten Frau beunruhigte ihn indessen nicht, er wusste ja, dass alles nur gespielt, nur inszeniert war, was ihn jedoch sehr irritierte, war ein Gegenstand, der zwar etwas unscharf und undeutlich, aber doch eindeutig auf dem Bild zu sehen war. Auf dem Fußboden neben dem Küchentisch lag ein pinkfarbener Rucksack mit der Aufschrift „titanic-bag“. Er hätte sich in den Hintern beißen können, dass ihm das nicht aufgefallen war, als er das Bild für sie ausgesucht hatte. Aber auch da hätte er sich die Konsequenzen nicht vorstellen können, die auf der Rückseite des Fotos verdeutlicht wurden. Dort stand in ungelenker, verstellter Kinderschrift: „Zahlen sie 1000 Euros sonst geh ich zur Polizei und zeig sie wegen Vergewaltigung an. Stecken sie das Geld in einen Umschlag. Werfen sie den in den Papierkorb mit dem gelben Aufkleber auf dem Spielplatz neben der Bank da wo sie gesessen haben. Abgabe Mittwoch 7. Mai Punkt 11 Uhr in der Nacht. Anschließend verschwinden sie sofort. Warnung: keine Tricks, keine Polizei, sonst geht es ihnen schlecht und das Bild kommt in die Zeitung.“ Heute war Dienstag.

Seine erste Reaktion war blanke Wut, die zweite Empörung, die dritte nackte Angst. Es ärgerte ihn maßlos, dass dieses Luder erst abkassiert hatte und dann durch Erpressung noch mehr Geld eintreiben wollte. Dabei hatte er ihr doch das gegeben, wie sie gefordert hatte, ohne zu handeln. Und sie hatten sich doch gut verstanden, hatten Spaß bei den Aufnahmen gehabt und alles war problemlos abgelaufen. Das Luder hatte sich doch beim Abschied noch ausdrücklich bedankt, dass er sie in keiner Weise belästigt oder angemacht oder gar angefasst hatte. Und jetzt war diese gemeine Tussi, diese Schlampe auf die Idee gekommen, ihn zu erpressen. Er würde natürlich nicht zahlen. Tausend Euro waren auch für ihn viel Geld. Er wollte aber auch keinen Ärger, keine Polizei, keine Nachforschungen, keine Verhöre, keine Gegenüberstellung und Rechtfertigungen. Wer würde seinen Erklärungen Glauben schenken? Wer würde seine Version des Geschehens abnehmen, wenn diese angeblichen Beweise auf dem Tisch lagen und die Frau steif und fest behaupten würde, dass es nicht gespielt, sondern echt gewesen war? Zu all dem würde ihm seine Frau höchst unangenehme Fragen stellen und es wäre auch höchst unangenehm, wenn seine Bekannten, seine Freunde, die Arbeitskollegen oder gar die Firma Wind von der Sache bekämen. Das Bild sprach nun mal für sich, da gab es nichts zu deuteln. Wie wollte er widerlegen, was so eindeutig zu sehen war? Wie hätte er die abgebildete Situation verharmlosen oder gar erklären können? Wie wollte er beweisen, dass die blauen Flecken und Kratzwunden nur aufgemalt waren? Selbst wenn die Verletzungen echt gewesen wären, mittlerweile wären sie verheilt und spurlos verschwunden und man könnte nicht mehr feststellen, ob sie echt oder nur aufgemalt waren. Auch seine Fotos, die sowohl eine glückliche, zufriedene Frau und ein vergnügtes Kind auf dem Spielplatz als auch detaillierte Körperpartien ohne jegliche Verletzungen oder Spuren von Gewalt zeigten, waren letztlich ohne Beweiskraft. Irgendwann im Laufe des Nachmittags, so würde das Biest aussagen, habe sich ihre Beziehung grundlegend verändert. Ganz plötzlich habe er sich auf sie gestürzt und ihr Gewalt angetan. Ja, sie gebe zu, dass sie ihn durch ihre Nacktheit und ihre gespielte Geilheit erregt habe, aber dieses Spiel habe er ja gewollt. Den Zeitpunkt, an dem die harmlose Aktfotografie in eine brutale Vergewaltigung umschlug, würde man sogar exakt an Hand der exif-Daten der digitalen Bilddateien ermitteln können. Denn ab diesem Zeitpunkt gab es nur noch Bilder, die von Gewalt zeugten, mit Wunden und Verletzungen. Bilder, auf denen sich statt Freude und Vergnügen, nur noch Angst und Wut und Scham im Gesicht der Frau spiegelten. Es gab kein Bild, in dem der Schminkvorgang dokumentiert war, kein Bild, auf dem die scheinbar misshandelte Frau beim Abschied ihren angeblichen Peiniger anlächelte, kein Bild mit einem freundlich winkenden Kind im Hochstuhl. Hätte er doch wenigsten noch ein harmloses Abschiedsbild gemacht. Dafür dieser verdammte, auffallende Rucksack auf dem Fußboden, den nicht nur seine Frau kannte, auch die Fotofreunde, die ihn deswegen schon geuzt hatten, wenn er das alte Ding auf den gemeinsamen Fototouren dabei hatte. Das Ding einfach wegwerfen, war also auch keine Lösung.

Je mehr er sich ärgerte und sich in seine Ängste hineinsteigerte, umso weiter entfernt war er von einer Lösung. Er zerbrach sich den Kopf, was er tun sollte, um ungeschoren aus der verfahrenen Sache herauszukommen. Keine Polizei, das war klar. Das Ganze zu ignorieren und nichts zu bezahlen war aber auch riskant. Die Tussi würde mit Sicherheit aus reiner Rache, weil sie nichts bekommen hatte, eine Anzeige wegen Vergewaltigung erstatten und als Beweis seine eigenen Bilder vorlegen. „Ich weiß, ich hätte gleich kommen müssen, aber ich konnte nicht. Ich habe mich so geschämt. Ich war so geschockt. Ich musste die Schande erst mal verarbeiten. Aber jetzt will ich, dass dieser Mistkerl bestraft wird, dass er eingelocht wird.“ So oder so ähnlich würde sie jammern. Doch je mehr er nachdachte, umso weniger wollte er glauben, dass dieser Plan von der Frau allein ausgeheckt worden war. Nein, so sehr konnte er sich in ihr nicht getäuscht haben. Es konnte nur so gewesen sein, dass ihr Freund, dieser Fiesling, die Finger im Spiel hatte. Er war es, der die Sachlage auszuschlachten versuchte. Er war mit Sicherheit die treibende Kraft, weil er eine einmalige Chance sah, an Geld zu kommen, an viel Geld. Wer einmal zahlt, muss immer zahlen. Erpressungen hören nie auf, das weiß man doch aus den Krimis, das kriegt man doch in diesen Fernsehserien mit.

Mitten in der schlaflosen Nacht kam ihm sogar eine ganz abstruse Idee. Er würde am frühen Nachmittag zum Spielplatz fahren, sein Auto, das die Frau ja nicht kannte, am Ausgang parken, sich mit Schal und Mütze vermummen und in den dichten Büschen verstecken. Wenn die Frau dann mit dem Kinderwagen käme, würde er hervor stürzen, sich das Mädchen schnappen, zu seinem Auto rennen und davon brausen. Er würde Gleiches mit Gleichem vergelten, Erpressung mit Entführung, Geldforderung mit der Forderung aufzuhören. Er würde dem Kind natürlich nichts antun, es nur eine Weile bei sich behalten, bis die verzweifelte Mutter bereit wäre, die Erpressung zu unterlassen. Doch noch, ehe er richtig zu Ende gedacht hatte, wurde er wieder vernünftig und sein Kopf wieder klar. „Entführung, das ist doch genau so ein Kapitalverbrechen wie Vergewaltigung, Mann! Lass den Unsinn, sonst steckst du nur noch tiefer in der Scheiße.“ Als die Nacht vorbei war, lag er immer noch wach und ratlos im Bett.

 

Das Wiedersehen

 

Den nächsten Vormittag verbrachte er mit Grübeln und Nachdenken, mit Hoffen und Bangen. Eine Patentlösung gab es nicht und so tat er das, was am naheliegend war, er fuhr zu der Wohnung der jungen Frau, um die Lage vor Ort zu klären. Um nicht schon an der Haustür abgewiesen zu werden, wartete er, bis jemand das Haus verließ, stieg die vielen Treppen hoch und klingelte an der Wohnungstür. Erst tat sich nichts und er fürchtete schon, sie sei nicht zu Hause. Doch dann öffnete sich die Tür einen Spaltbreit und sie späte in den Flur. Als sie ihn erkannte, erschrak sie sichtlich und wollte die Tür rasch wieder schließen, doch er hatte einen Fuß dazwischen gestellt. „Lass mich rein, ich muss mit dir reden.“ „Nein, geh weg, ich will nicht, jetzt geht es nicht.“ So ging es eine Weile hin und her, bis sie ihn schließlich doch eintreten ließ. Im hellen Licht der Wohnküche sah er sie genauer an. Ihr Gesicht war bleich und ungeschminkt, die Haut unrein, mit Pickeln hier und da, die er bei ihrem „shooting“ gar nicht bemerkt hatte, die Augen waren verschwollen, von wegen Gazellenaugen, und ihr Haar, dessen Lockenpracht ihn begeistert hatte, war eine wirre, strähnige, formlose Masse. Das Auffallendste aber war die Angst, die er in ihren Augen sah und die diesmal echt war. „Warum bist du gekommen? Was willst du von mir?“ „Blöde Frage. Ich muss wohl dich fragen, was du von mir willst, warum du mich erpressen willst, du dumme Kuh. Was hast du dir eigentlich gedacht, als du mir das Bild geschickt hast?“ Er hatte sich unaufgefordert an den Küchentisch gesetzt, an den Ort, wo das Beweisstück für seine angebliche Schuld gelegen hatte, der auffällige Rucksack, und hörte der jungen Frau zu, die erst zögerlich, dann immer schneller, immer impulsiver redete.

Sie hatte die Bilder erhalten und sich sehr gefreut. „Die waren toll, absolut Spitze, gerade die schlimmen. Wir waren gut, du und ich.“ Sie habe sie dann versteckt, weil ihr Freund so eifersüchtig sei. Deswegen habe sie auch keinen Kontakt mit ihm aufgenommen und sich noch nicht einmal bedankt. „Der durfte nichts merken. Aber er hat sie doch gefunden. Ich hab sie unter den Pampers versteckt, aber dann hab ich nicht mehr dran gedacht. Einmal hatte die Kleine die Windeln voll, lag auf dem Küchentisch und strampelte wie blöd. Da sagte ich zu ihm, hol mir mal eine Pampers, ich kann die hier keine Sekunde allein liegen lassen. Und da hat er den Umschlag gesehen und gleich aufgemacht. Ich hab geschrien, lass ihn liegen, der geht dich nichts an, der ist mir.“ Er habe aber nicht auf sie gehört und die Bilder raus genommen und geglotzt und geglotzt. Dann sei er auf sie zugekommen, ganz langsam, habe nichts gesagt, kein Wort, ihr nur eine gescheuert, ihr eine Ohrfeige gegeben, die sie auf das Sofa geworfen habe und die schreiende Kleine immer noch ungesichert auf dem Küchentisch. „Ich war fast besinnungslos. Verstehst du? Besinnungslos vor Angst und Wut und Schmerz.“ Erst danach habe er Rabatz gemacht, sie ausgefragt, gelöchert, beschuldigt. „Für ihn war klar, dass ich fremd gegangen bin und dass ich den Fotografenheini verführt hatte. Für ihn war klar, dass ich dich so lange angemacht, so lange provoziert hatte, bis du die Kontrolle über dich verloren und mich mit Gewalt genommen hattest. Die Geschichte mit der gespielten Vergewaltigung hat ihn gar nicht interessiert, die hat er nicht geglaubt, kein Wort, obwohl ich ihm die reine Wahrheit gesagt habe.“ Doch als seine Wut so langsam verraucht war, habe er begonnen nachzudenken und einen Plan zu schmieden. Und dann habe er sie gezwungen, ihm zu helfen. „Ich habe mich gesträubt und geweigert, das kannst du mir glauben, aber der fiese Kerl hat gesagt, er verprügelt mich so lange, bis ich gehorche und wenn ich jemandem davon erzähle, schlägt er mich tot und die Kleine mit dazu. Das hat er gesagt.“ Er sei von der Idee, aus der Sache Geld zu machen, viel Geld, geradezu besessen gewesen und sie habe ihn nicht mehr davon abbringen können.

Nachdem alles aus ihr herausgesprudelt war, schwiegen beide. Schließlich räusperte er sich. „Wo ist eigentlich die Kleine?“ „Sie ist bei meiner Mutter. Heute ist Mittwoch, da gehe ich normalerweise in den Paulaner. Aber die haben mich vor zwei Wochen rausgeschmissen, weil ich bei der Abrechnung ein bisschen geschummelt habe. Ich hab halt ganz nötig Geld gebraucht, wegen…ja, wegen dem Fernseher, wegen der Raten, die holen den doch wieder ab, wenn ich die Raten nicht bezahle. Meiner Mutter habe ich das noch gar nicht gesagt mit dem Rausschmiss, die glaubt, ich bin auf Arbeit.“ Sie schluchzte und wischte sich die Tränen mit einem zerknüllten Papiertaschentuch ab. Er blieb kühl und reserviert. „Das tut mir leid. Aber wie kommen wir jetzt weiter? Dir ist doch klar, dass du wegen Vortäuschung einer Straftat und Beihilfe zu einer Erpressung mächtig Ärger bekommen kannst.“ Natürlich war ihr das klar und sie versicherte ihm unter erneuten Tränen, dass sie nie und nimmer daran gedacht habe, ihn zu erpressen, nachdem sie beide, und hier lächelte sie zum ersten Mal schüchtern, nachdem sie beide so viel Spaß an diesem Tag gehabt hatten. Aber ihr Freund, der das alles ausgeheckt habe, er allein, wie sie betonte, ihr Freund sei gefährlich und zu allem fähig. „Der ist ein Schwein, ein echtes Schwein, dem trau ich sogar zu, dass er dich kalt macht. Du musst weg von hier. Er darf dich nicht in der Wohnung erwischen. Bitte geh jetzt, bevor er kommt. Geh bitte sofort.“ Sie beschwor ihn eindringlich zu gehen, um seines und ihres Heils willen, wie sie es sehr dramatisch, sehr theatralisch ausdrückte. Sie werde diesem Freund, mit dem sie eigentlich gar nichts mehr zu tun haben wolle, sie werde ihm seinen Plan mit der Erpressung schon ausreden. „Das war doch von Anfang an Schwachsinn. Hab ich ihm gleich gesagt. Wenn ich ihm klar mache, in welch beschissener Lage wir jetzt schon sind und dass alles noch schlimmer wird, wenn du uns anzeigst, hört er damit auf. Glaub mir. Der hat zu viel Schiss, wenn es drauf ankommt, der will nichts riskieren. Ich kenn ihn doch.“ „Und wenn er nicht aufgeben will?“ „Wenn er so doof ist, dann gehe ich zur Polizei und sage denen die Wahrheit. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Glaub mir, das mach ich, ich verspreche es dir.“

Sie rührte ihn, wie sie so hilflos und apathisch am Küchentisch saß, den Machenschaften dieses Oberarschlochs von Freund ausgeliefert. Sie steckte bis zur Halskrause in eigenen Problemen und war trotzdem noch um ihn besorgt. Seine Wut verwandelte sich beim Anblick des heulenden, schniefenden Häufchens Elend in Mitleid, ja in Zärtlichkeit. Die Lust auf diese Frau, die ihn schon an jenem bedeutsamen Nachmittag gepackt hatte, keimte wieder auf. Er beugte sich über den Tisch, berührte ihren aufgestützten Arm und streichelte ihn sanft. Sie blickte ihn erstaunt an. „Du musst doch eine Mordswut auf mich haben?“ „Das stimmt schon“, antwortete er, schob jedoch sofort nach, „das ist aber jetzt vergessen und vergeben. Das ist gar nicht mehr wichtig. Weißt du, ich mag dich, sehr sogar“. Sie atmete sichtlich erleichtert auf. „Dann ist ja wieder alles gut zwischen uns und du kannst jetzt gehen und mich allein lassen. Wenn du willst, treffen wir uns mal wieder und du machst wieder richtig schöne, tolle Bilder von mir und auch von der Kleinen, im Park oder am Neckar. Weißt du, ich wollte dir schon damals sagen, dass es mir gut gefallen hat mit dir, nicht nur wegen der tollen Bilder, sondern weil ich dich auch super finde.“ Sie säuselte noch etwas von Zuneigung und dass er überhaupt ein echt toller Mann sei. Doch er glaubte ihr kein Wort. Was konnte diese junge Frau von ihm, einem mittelalten Knacker wollen, außer Geld oder irgendwelche anderen Vorteile. Aber trotz aller Erkenntnisse faszinierte sie ihn und er war schon wieder scharf auf sie. Während sie zum x-ten Mal ihr Mantra wiederholte „lass mich bitte, bitte allein, bevor dieser Typ kommt“, fasste er einen Entschluss. Er würde bleiben. Er würde diese zerbrechliche, hilflose Frau nicht diesem unberechenbaren Wüterich, diesem Bodybuilder mit Spatzengehirn überlassen. Er würde seinen Mann stehen, hier und heute und er würde die unangenehme Sache klären und sie ein für alle Mal aus der Welt schaffen. Er teilte ihr seinen Entschluss mit und stellte definitiv klar, dass er an diesem Tisch sitzen bleiben würde, „bis dieses Arschloch mir Angesicht zu Angesicht gegenübersteht“. Nach diesen Ausführungen war ihr klar, dass sie ihn mit Worten allein nicht zum Gehen bewegen konnte und so setzte sie ihre letzte Waffe ein. Sie stand auf, ging um den Tisch herum und nahm auf seinem Schoß Platz. Erst streichelte sie seine Wangen, kraulte dann in seinen Haaren, drückte ihren vollen Busen an seine Brust und schmiegte schließlich ihr Gesicht an seines. „Jetzt ist doch alles gut. Wir sind wieder Freunde. Die Sache ist erledigt. Verlass dich drauf.“ Er atmete den Duft der Haare ein, die allerdings dringend eine Wäsche gebraucht hätten, und umarmte sie. Ihre Lippen näherten sich den seinen und er schloss die Augen in Erwartung eines heißen Kusses. Die Begierde hatte ihn nun voll erfasst und eine deftige Erektion machte sich bemerkbar. Doch sie drückte ihm nur einen sanften, gehauchten Kinderkuss auf die geöffneten Lippen und befreite sich aus seiner Umarmung. Er war enttäuscht, aber das Verlangen nach dieser Maria Magdalena blieb bestehen, ebenso wie sein Entschluss, hier zu bleiben und sie zu beschützen. Dieser Entschluss war gar nicht so selbstlos, denn er konnte, nicht nur sein eigentliches Anliegen regeln und die Erpressung aus der Welt schaffen, er konnte gleich zwei weitere Dinge miteinander verbinden. Er konnte ihr helfen und dadurch ihre Zuneigung gewinnen und er konnte noch eine Weile ihre Nähe auskosten, dieses verdammte kribbelnde Gefühl in seinem Bauch. „Nein, ich bleibe bei dir. Keine Macht der Welt kriegt mich von hier weg. Ich warte, bis der Typ kommt und dann …“ „Und was dann?“ Als sie merkte, dass auch ihrer Verführungskunst ihn nicht umzustimmen vermochte, stand sie abrupt von seinem Schoß auf, stützte die Hände auf den Küchentisch und sah ihn höhnisch an. Ihre Zärtlichkeit und ihre Hilflosigkeit waren wie weggeblasen. „Was willst du mit dem machen? Der macht doch dich nach Strich und Faden fertig und nicht umgekehrt. Und mich dazu. Das kannst du doch nicht wollen, oder?“ Ihr Redefluss strömt wieder ohne eine Spur von Liebenswürdigkeit. Immer wütender, immer aggressiver drängte sie ihn, sofort ihre Wohnung zu verlassen, sofort Leine zu ziehen, abzuhauen. Er führte diesen Umschwung auf ihre Erregung und ihre Angst zurück. Ärgerlich, ja wütend wehrte sie ihn ab, als er versuchte, sie wieder auf seinen Schoß zu ziehen. Nach einer Weile hatte sie sich aber wieder beruhigt und offensichtlich hingenommen, dass er am Küchentisch sitzen bleiben würde, stoisch, eigensinnig, stur, wie festgeklebt und bodenlos dumm. Resigniert setzte sie sich auf ihren Stuhl und sagte leise „Dann kommt es eben, wie es kommen muss. Ich habe dich gewarnt, du hast selbst Schuld.“

Sie saßen sich lange Zeit schweigend gegenüber. So gegen sechs hörte er, wie die Wohnungstür aufging. Die Frau schrie auf, „Komm nicht rein! Er ist da! Verschwinde!“ Doch es war zu spät, in der offenen Küchentür stand der Freund, der Erpresser, der brutale Typ, der zu allem fähig war, selbst zu Mord und Totschlag. Es war ein Jüngelchen, schmal und ungepflegt, mit fettigen Haaren und einem pickeligen Gesicht, nichtssagend, beliebig, unscheinbar. Er starrte erschrocken und kreidebleich auf die beiden. „Wa.., wa.., was is hier los?“, stotterte er. „Wer ist das? Und wa.. was is mit dir los? Was will der?“ Die Sachlage klärte sich schnell auf. Sie brauchten nicht viele Worte. Bevor er die Wohnung verließ, sagte er zu ihr: „Gib mir die Bilder, damit dir deine blühende Phantasie nicht noch einen Streich spielt.“ Als er den Umschlag in der Hand hielt, konnte er sich nicht verkneifen, ihr ein Lob auszusprechen „Du bist zwar eine dumme Nuss und eine blöde Kuh und hast mich zur Weißglut gereizt, aber du bist auch eine verdammt gute, was sag ich, eine hervorragende Schauspielerin und eine“, er suchte nach dem passenden Wort, „ein tolles Fotomodel, das beste, das ich je hatte. Aus dir könnte noch was werden.“

 

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